Geschichte inklusiv entdecken – im Casa dos Nichos
Eine Brücke zwischen kulturellem Erbe und der Zukunft für nachhaltigen Tourismus
Im Juli 2025 kamen vierzig Freiwillige aus ganz Europa in Portugal zusammen, um an einem Jugendseminar des Programms Travel Different for Future (TDFF) teilzunehmen. Diese Initiative bringt junge Menschen zusammen, um darüber nachzudenken, wie Tourismus inklusiver, nachhaltiger und bedeutungsvoller gestaltet werden kann.
Carlota Neves
Unsere Aufgabe war es, zu erforschen, wie Kulturtourismus zugänglicher und inklusiver gestaltet werden kann, und Beispiele zu finden, in denen kleine, aber wirkungsvolle Veränderungen das Besuchserlebnis verbessert haben.
Da wir eine große Gruppe waren, haben wir uns in vier Teams aufgeteilt, die sich jeweils mit einem anderen Thema). Unsere Aufgabe war es, zu erforschen, wie Kulturtourismus zugänglicher und inklusiver gestaltet werden kann, und Beispiele zu finden, in denen kleine, aber wirkungsvolle Veränderungen das Besuchserlebnis verbessert haben.
Ein zentraler Bestandteil unserer Recherche war der Besuch des Museums Casa dos Nichos in Viana do Castelo. Eingebettet in die charmante Stadt im Norden Portugals ist die Casa dos Nichos weit mehr als nur eine kleine archäologische Ausstellung. Sie ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Geschichte auf eine Weise vermittelt werden kann, die alle Arten von Besucherinnen und Besuchern anspricht, bildet und einbezieht. Ihre Fähigkeit, römische Geschichte mit modernen Werten der Inklusion zu verbinden, macht sie zu einer inspirierenden Fallstudie für den Tourismus von morgen.
Eine Reise durch die Zeit
Das Museum wurde über den Überresten eines römischen Hauses errichtet, sodass wir buchstäblich auf Schichten der Geschichte standen und uns das Alltagsleben von Familien vor fast zwei Jahrtausenden vorstellen konnten. Die Hauptausstellung konzentriert sich auf die archäologische Stätte Milreu, eine nahegelegene römische Villa von großer Bedeutung für das portugiesische Kulturerbe. Artefakte aus dieser Stätte geben Einblick in Architektur, Handwerkskunst und gesellschaftliche Strukturen der Römerzeit.
Was die Casa dos Nichos jedoch besonders macht, ist ihr interaktiver Ansatz. Statt nur Artefakte hinter Glas zu betrachten, wurden wir ermutigt, Reproduktionen zu berühren, Gegenstände in die Hand zu nehmen und sie direkt zu erleben. Dadurch konnten wir Geschichte nicht nur intellektuell, sondern auch körperlich und emotional erfahren. Für uns als Inclusion Research Team war das besonders bedeutsam, da wir erforschten, wie touristische Erlebnisse gestaltet werden können, die wirklich alle willkommen heißen – unabhängig von Fähigkeiten.
Als ich den Nachbau eines römischen Soldatenhelms aufsetzte, spürte ich sofort das Gewicht, das auf meinem Kopf und meinen Schultern lastete. Er war schwerer, als ich erwartet hatte, und ließ mich darüber nachdenken, welche Stärke und Ausdauer römische Soldaten gebraucht haben mussten, um in dieser Rüstung weite Strecken zu marschieren. Auch das Spannen eines Bogens war eine überraschend anstrengende Aufgabe, die mir verdeutlichte, wie viel Geschick und Kraft nötig waren. Diese kleinen physischen Herausforderungen halfen uns, Empathie für die Disziplin und Belastbarkeit der antiken Soldaten zu entwickeln – und zeigten, wie viel Geschichte durch taktiles Erleben vermittelt werden kann, dass kein Lehrbuch ersetzen kann.
Ein weiteres Highlight war das detailreiche Miniaturmodell der römischen Stadt und Villa. Durch die winzigen Straßen und sorgfältig rekonstruierten Gebäude konnten wir uns das Leben der Familien, Arbeiter und Soldaten vorstellen, die einst diesen Ort belebten. Das Modell erzählte eine Geschichte von Gemeinschaft, Ritualen und Widerstandskraft. Während wir darum herumstanden, stellten wir uns Kinder beim Spielen, Frauen beim Kochen und Händler beim Handeln vor. Es war, als würden wir in einen lebendigen Moment der römischen Gesellschaft eintauchen – ein Moment, der uns daran erinnerte, dass diese Ruinen einst Häuser und Treffpunkte waren, erfüllt von Lachen, Arbeit und Alltagskämpfen.
Diskussionen im Team
Nach dem Besuch kamen wir zusammen, um unsere Eindrücke zu reflektieren. Eine zentrale Diskussion drehte sich um die Frage: Sollten kulturelle Institutionen möglichst viele Besucher anziehen oder lieber kleinere, intensivere Erlebnisse bieten? Einige argumentierten, dass hohe Besucherzahlen finanzielle Stabilität und Sichtbarkeit sichern – wichtige Voraussetzungen für die Erhaltung des Erbes. Andere betonten, dass die Tiefe der Erfahrung wichtiger sei, da echte Verbundenheit Menschen dazu inspiriere, Kulturstätten zu respektieren, zu schützen und wiederzukehren. Diese Debatte spiegelt aktuelle Fragen in der Tourismuspolitik wider, wo die Balance zwischen wirtschaftlicher Tragfähigkeit und kultureller Integrität eine große Herausforderung bleibt.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Inklusion: Wer erzählt die Geschichten des kulturellen Erbes – und wie können Museen sicherstellen, dass sich alle Gemeinschaften repräsentiert fühlen? Wir stellten fest, dass die Casa dos Nichos mit ihren taktilen Reproduktionen ein Vorbild für Barrierefreiheit ist. Für sehbehinderte Besucher*innen wird das Erleben durch Berührung zu einer echten Teilnahme statt zu einem Ausschluss. Wir sprachen auch über die Notwendigkeit, die Geschichten von Frauen, Kindern und versklavten Menschen stärker in die römische Geschichtserzählung einzubeziehen – Stimmen, die in traditionellen Darstellungen oft übergangen werden. Inklusion bedeutet eben nicht nur physischen Zugang, sondern auch, wessen Geschichten erzählt werden.
Die Vergangenheit anders mit der Zukunft verbinden
Unser Besuch im Casa dos Nichos war mehr als nur ein Ausflug – er war Teil unserer Mission, Tourismus neu zu denken. Mit dem Fokus auf Barrierefreiheit und Inklusion wollen wir eine Vision von Tourismus fördern, die allen zugutekommt – nicht nur denjenigen, die über die Mittel und Möglichkeiten verfügen, bequem zu reisen, sondern auch Menschen, die mit Behinderungen, finanziellen Einschränkungen oder kulturellen Barrieren konfrontiert sind. Das entspricht der breiteren Vision von TDFF, Reisen als Werkzeug für kulturellen Austausch, Lernen und Empowerment zu nutzen.
Die Casa dos Nichos verkörpert diese Werte. Sie zeigt, dass kulturelles Erbe auf eine Weise bewahrt und präsentiert werden kann, die fesselnd und inklusiv ist. Besucher werden ermutigt, innezuhalten, zu berühren, zuzuhören und zu reflektieren. Die ruhige, intime Atmosphäre des Museums steht im Gegensatz zum schnellen Konsum des Massentourismus. So wird Tourismus nicht nur zu einer wirtschaftlichen Aktivität, sondern zu einer kulturellen Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft – zugänglich für ein breiteres Publikum. Außerdem zeigt sie, wie lokale Gemeinschaften ihr Erbe als Ressource nutzen können, um Identität zu stärken und interkulturellen Dialog zu fördern.
Unsere Vision für inklusiven Tourismus
Als Inclusion Team entwickelten wir die Vision eines Tourismus, in dem Barrierefreiheit selbstverständlich ist – kein nachträglicher Gedanke. Das bedeutet, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen, etwa durch Rampen, Braille-Beschriftungen oder Audioguides. Es bedeutet auch, LGBTQ+-Identitäten sichtbar zu machen und die Geschichten historisch marginalisierter Gruppen zu würdigen, deren Stimmen in der Geschichtsschreibung oft zum Schweigen gebracht wurden.
Für uns bedeutet Inklusion auch, Erlebnisse zu gestalten, die Dialog und Austausch fördern – bei denen Besucher und Einheimische voneinander lernen und ein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl entwickeln. Museen wie die Casa dos Nichos zeigen, wie taktile und sinnliche Erfahrungen dafür sorgen können, dass niemand von der Geschichte ausgeschlossen wird.
Wir erkennen auch, dass Inklusion untrennbar mit Nachhaltigkeit verbunden ist. Tourismus darf Gemeinschaften nicht ausbeuten oder überlasten, sondern sollte Chancen für Wachstum, Stolz und gegenseitigen Respekt schaffen. Nachhaltiger Tourismus erfordert sorgfältige Planung, um natürliche und kulturelle Ressourcen zu schützen und gleichzeitig ihren Nutzen zu ermöglichen. Innovation – etwa digitale Tools wie virtuelle Führungen oder interaktive Online-Inhalte – kann den Zugang erweitern. Doch authentische, menschliche Erlebnisse – wie das Gewicht eines römischen Helms zu spüren oder eine Bogensehne zu spannen – bleiben unersetzlich. Solche greifbaren Erfahrungen schaffen emotionale Verbindungen, die unsere Wertschätzung der Vergangenheit vertiefen.
Wir laden dich ein Neues zu entdecken
Unsere Reflexionen über die Casa dos Nichos sind Teil einer größeren Reise, die wir im Rahmen der TDFF-Initiative fortsetzen. In weiteren Artikeln und Interviews – unter anderem mit ILGA und IRIS – haben wir diese Themen vertieft und untersucht, wie verschiedene Gemeinschaften in Europa den Tourismus neu denken.
Wir laden dich, liebe Reisende, ein, uns auf dieser Reise zu begleiten und zu einer Zukunft des Tourismus beizutragen, die nicht nur innovativ und hochwertig, sondern auch gerecht, zugänglich und respektvoll ist. Wenn du inklusive und nachhaltige Praktiken unterstützt, wirst du Teil einer Bewegung, die sicherstellt, dass kulturelles Erbe nicht in der Vergangenheit verharrt, sondern lebendig, geteilt und relevant bleibt – für die kommenden Generationen.
 
                                        
