CO2 Kompensationen – ein einfacher Weg nachhaltig zu fliegen?

Mit dem Flugzeug zu Reisen ist die schnellste Option für die meisten internationalen Reisen, vor allem für weite Strecken ist Fliegen auch oft die praktischste Option. Aber Flugreisen verursachen enorm hohe Emissionen pro Person und Kilometer. Die Luftfahrt trägt ca. 3 % zur dem globalen CO₂ Emissionen bei.1 Das ist sehr viel, besonders da weltweit nur ein kleiner Anteil der Menschen überhaupt fliegt: über 80% der Menschheit saßen noch nie in einem Flugzeug!

Jochen Dallmer

Jochen Dallmer ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin. Er arbeitet als freiberuflicher Berater im Bereich Nachhaltigkeit und Bildung. Er ist Teil des "Travel Different for Future"-Projektteams als Berater und Wissenschaftler.

Aber Flugreisen verursachen enorm hohe Emissionen pro Person und Kilometer. Die Luftfahrt trägt ca. 3 % zur dem globalen CO₂ Emissionen bei. Das ist sehr viel, besonders da weltweit nur ein kleiner Anteil der Menschen überhaupt fliegt: über 80% der Menschheit saßen noch nie in einem Flugzeug!

Pro Passagier und Flug können schnell mehrere hundert Kilogramm CO₂ anfallen, bei Langstreckenflügen sogar über eine Tonne. Die gesamten CO₂-Emissionen liegen im EU-Durchschnitt bei etwa 6 Tonnen pro Person und Jahr. Ein Langstreckenflug macht also einen großen Teil Ihres persönlichen Emissionsbudgets aus oder erhöht es über den Durchschnitt hinaus. Um aber den Klimawandel zu begrenzen, müssen die Emissionen drastisch gesenkt werden. Wissenschaftler*innen empfehlen, als Ziel 1 Tonne pro Person und Jahr anzustreben.

Sollten wir gar nicht mehr fliegen?

Manchmal kann eine Flugreise einfach notwendig sein und insgesamt gibt es viele positive Seiten des internationalen Reisens, wie interkulturelles Lernen und die Förderung des globalen Verständnisses. Um die Emissionen zu verringern, arbeiten Luftfahrtunternehmen und Flugzeughersteller an technischen Lösungen, z. B. durch den Bau treibstoffsparender Flugzeuge. Auch nachhaltige Flugkraftstoffe werden entwickelt und könnten Kerosin zukünftig ersetzen. Aber bis sie das Fliegen wirklich klimaneutral machen, wird es noch lange dauern. Derweil klingt ein weiteres Angebot verlockend: Kompensationsgeschäfte versprechen, die beim Fliegen entstehenden Emissionen zu neutralisieren.

Wie funktioniert Kompensation eigentlich?

CO₂-Kompensation bedeutet, dass die CO₂-Emissionen, die durch eine Aktivität wie einen Flug verursacht werden, durch ein Projekt ausgeglichen werden, indem dort die gleiche Menge CO₂ eingespart wird. Die Kompensationszahlung, z.B. für einen Flug, wird von der Organisation oder dem Unternehmen zur Finanzierung von Projekten genutzt, die dazu beitragen, die gleiche Menge an Emissionen zu vermeiden. Hier einige Beispiele für solche Projekte von der Organisation/Firma atmosfair2:

  • Die Entwicklung und subventionierte Verteilung von Kochherden, die besonders effizient sind und daher 80 % weniger Brennholz benötigen. Dies spart Emissionen, verringert den Bedarf an Brennholz und ist für die Menschen im Norden Nigerias zudem wirtschaftlicher.
  • Die Installation von Sonnenkollektoren zur Verringerung des Einsatzes von fossiler Energie, zum Beispiel als Ergänzung zu den üblichen Schwerölkraftwerken in Madagaskar.
  • In Nepal werden kleine Biogasanlagen in Haushalten in ländlichen Gebieten gebaut, um eine umweltfreundliche Energieversorgung dort zu gewährleisten, wo früher mit Feuerholz gekocht wurde.

Die genannten Projekte klingen gut und sind sicherlich ein effektiver Weg, um Emissionen zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels. Die Kompensation von CO₂-Emissionen aus Flügen ist jedoch ein besonders kontroverses Thema. Einige halten die Kompensation für einen rundum guten Ansatz. Andere stehen der Kompensation sehr kritisch gegenüber, obwohl sie für den Klimaschutz sind. Hier geben wir einen Überblick über die Argumente, die für und gegen den Sinn und die Wirksamkeit von Kompensationsmaßnahmen sprechen.

Beginnen wir mit drei positiven Argumenten, warum die Kompensation ein guter Weg ist, klimafreundlich zu werden:

  1. Beitrag zum Klimaschutz und Unterstützung von nachhaltigen Projekten
    CO₂-Kompensationsprojekte (z.B. erneuerbare Energien, Moorrenaturierung) helfen, Treibhausgasemissionen auszugleichen. Viele Kompensationsanbieter investieren in Umweltprojekte, die zudem über die CO₂-Kompensation hinaus positive Effekte haben (z.B. Schutz der Biodiversität, Bereitstellung von sauberem Trinkwasser, Schaffung von Arbeitsplätzen).
  2. Unmittelbare Wirksamkeit
    Die Kompensationszahlung ist sofort verfügbar und damit direkt wirksam. Technische Lösungen für klimaneutrales Fliegen (z. B. synthetische Kraftstoffe) sind noch nicht in großem Maßstab verfügbar und erschwinglich. Es wird noch viele Jahre dauern, bis sie die Emissionen maßgeblich reduzieren werden. In der Zwischenzeit bieten Kompensationsmaßnahmen eine unmittelbare Möglichkeit, die Emissionen des Fliegens zumindest zu reduzieren.
  3. Aufmerksamkeit und Bewusstseinsbildung
    Durch die Nutzung von Kompensationsangeboten wird die Aufmerksamkeit auf das Emissionsproblem und mögliche Lösungen gelenkt. Dies kann die Luftfahrtindustrie und andere Reisende für die Klimaauswirkungen von Flügen sensibilisieren und zu einem nachhaltigeren Verhalten anregen. Außerdem zeigt es den Fluggesellschaften, dass sich ihre Kund*innen mit den negativen Klimaauswirkungen des Fliegens befassen.

Schauen wir uns nun drei Hauptargumente an, die die Gegenposition vertreten. Sie argumentieren, dass die Kompensation nicht effektiv ist und einen falschen Eindruck von klimafreundlichem Fliegen vermitteln könnte.

  1. Die Wirksamkeit von Projekten ist oft fraglich
    Besonders viele große Kompensationsprojekte sind als langfristige Ausgleichsmaßnahmen geplant, z. B. das Pflanzen von Bäumen, die schließlich eine große Menge CO2 binden werden. Doch solche Projekte, insbesondere Aufforstungen, können scheitern, wenn die Bäume bald gefällt oder durch Waldbrände zerstört werden. Bäume tragen erst nach vielen Jahren zum Klimaschutz bei, wenn sie groß sind und über lange Zeit größere Mengen an CO2 speichern. Wenn aber Bäume gepflanzt und bald wieder abgeholzt werden, werden sie nie so viel CO2 binden wie erhofft und berechnet.
    Außerdem müssen die Ausgleichsmaßnahmen zusätzliche Projekte sein, um tatsächlich zu einer Verringerung der Emissionen beizutragen. In manchen Fällen ist es fraglich, ob die Maßnahmen nicht ohnehin notwendig gewesen wären und durchgeführt worden wären. Hier wird also etwas angerechnet, das nicht wirklich zusätzlich ist.
    Es gibt große Unterschiede in der Qualität der Kompensationsprogramme. Nicht alle Anbieter garantieren eine zuverlässige CO₂-Reduktion und zahlreiche kritische Studien und Berichte haben dies dokumentiert.3
  2. Verzerrte Wahrnehmung und falsche Anreize
    Kompensationsmodelle könnten das Fliegen "moralisch leichter" machen, so dass die Menschen eher bereit sind, (viel) zu fliegen, anstatt umweltfreundlichere Alternativen zu nutzen, wie z. B. Züge und Busse für Reisen, die auch auf dem Landweg machbar sind. Manche Geschäftsreisen können durch Videokonferenzen ersetzt werden oder zumindest sollten Anlässe gebündelt werden (eine Reise mit mehreren Terminen), um die Anzahl der Reisen und die Emissionen zu verringern.
  3. Kompensation bringt keine wirkliche Reduzierung der Emissionen
    Die Kompensation von Emissionen bedeutet im Idealfall, dass kein zusätzliches CO₂ ausgestoßen wird. Das Problem jedoch ist, dass wir bereits viel zu viel CO₂ ausstoßen und die Emissionen unbedingt und absolut reduzieren müssen. In Europa liegt der durchschnittliche Ausstoß bei etwa 6 Tonnen pro Person und Jahr, aber um die globale Erwärmung aufzuhalten, müssen wir ihn baldmöglichst auf 1 Tonne pro Person und Jahr senken! Es reicht also nicht aus, jede zusätzliche Emission auszugleichen. Eigentlich sollten wir alle Projekte der Kompensationsagenda durchführen, aber auch Flugreisen und alle anderen Aktivitäten, die viel CO₂ ausstoßen, reduzieren.

Kann ich also sorglos fliegen, wenn ich die Emissionen kompensiere?

Nicht wirklich, denn wie oben erwähnt, bleiben gewichtige Probleme bestehen. Nicht zuletzt gibt es neben dem CO₂-Ausstoß noch eine Reihe anderer negative Nebeneffekte beim Fliegen, wie die Lärmbelästigung für Mensch und Natur oder die Flächennutzung durch riesige Flughäfen!

Aus der Perspektive des nachhaltigen Reisens gibt es also unsere klare Empfehlung als Travel Different Projekt:

  1. Flugreisen vermeiden, wann immer es möglich ist - es ist die effektivste und beste Möglichkeit, Emissionen zu reduzieren.
  2. Wenn eine Flugreise notwendig ist eine möglichst direkte Route wählen, Umwege und Zwischenlandungen vermeiden.
  3. Die entstehenden Emissionen kompensieren mittels seriöser Unternehmen, die ein hohes Maß an Transparenz und effektive Projekte anbieten, wie z. B. Atmosfair und MyClimate.

Wie werden die Emissionen und Kompensationspreise korrekt berechnet?

Wer nach Möglichkeiten zum Ausgleich Ihrer Emissionen sucht, stößt auf unterschiedliche Angebote und Berechnungen. Meistens geben die Fluggesellschaften eine niedrigere Zahl an und bieten die Kompensation schon für ein paar Euro an. Umweltorientierte Agenturen rechnen jedoch anders. Vorsicht bei sehr günstigen Angeboten, wie z.B. 6 Euro Kompensation für einen Flug quer durch Europa, denn hier ist die Kompensation vielleicht nur Dekoration, aber nicht sehr effektiv. Gegen verschiedene Fluggesellschaften wurden bereits Vorwürfe erhoben und teilweise sogar Ermittlungen eingeleitet, weil sie irreführende Angaben über ihre Kompensationsprogramme gemacht haben.4

Quellen

  1. Neben den direkten CO₂-Emissionen hinterlassen Flugzeuge weitere Emissionen in der Atmosphäre, die sich auf das Klima auswirken: Dabei handelt es sich hauptsächlich um Partikel, Wasserdampf, Schwefel- und Stickoxide. Diese Oxide sind für die Bildung von Kondensstreifen verantwortlich. Sie beeinflussen auch die Konzentrationen einiger atmosphärischer Gase, wie z. B. Ozon, und tragen somit zur globalen Erwärmung bei.
    Umweltbundesamt (2019): Magazin. Schwerpunkt: Fliegen. Seite 15. (30.03.2023)
  2. Beispiele entnommen von https://www.atmosfair.de/en/climate-protection-projects/ (28.03.2025)
  3. https://www.theguardian.com/environment/2023/jan/18/revealed-forest-carbon-offsets-biggest-provider-worthless-verra-aoe (03.05.2023) CO₂-Zertifikate: Grün getarnt | ZEIT ONLINE (10.12.2024)
  4. Eine Studie beschuldigt viele der bekannten Europäischen Fluggesellschaften wie Air France, British Airways, Easyjet, KLM, Lufthansa, Ryanair, SAS und Wizz Air entsprechend irreführender Praxis. https://www.capital.de/wirtschaft-politik/ryanair--lufthansa-und-co---airlines-taeuschen-fluggaeste-bei-co2-neutralitaet-32801624.html (10.06.2024).
    Siehe auch https://www.theguardian.com/environment/2021/may/04/carbon-offsets-used-by-major-airlines-based-on-flawed-system-warn-experts (05.05.2023)